Dienstag, 4. Oktober 2011

Die Gefährten - Part III


Die Ehrgeizige ist die Schwester großer Brüder und ließ sich gern von allen möglichen  Chauvi-Sprüchen anspornen. Kaum wurde ein „Das ist eine Männerroute!“ oder ein „Das schaffst du eh (noch) nicht!“ ausgesprochen, hatte sie sich schon ins Seil gebunden. Und obwohl sie im Grunde ihres Herzens ein kleiner großer Angsthase war, brachte das „Großer-Bruder-Ego“ knallharten Antrieb, Erfolg und innerhalb von 5 Wochen die erste 7- im Toprope – „Just pink!“ Ein Balanceakt an einer senkrechten Sloper-Wand. Doch die Ehrgeizige hatte ein Problem, was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte. Denn abgesehen davon, dass sie ganz gut kletterte, stürzte bzw. fiel sie nicht! Die Angst davor lieferte recht oft das letzte Fünkchen Kraft, um einen schwierigen Zug zu meistern. Die Griffe wurden regelrecht zugeschraubt, was natürlich auch erst mal einen enormen Kraftzuwachs mit sich brachte. Von der Angst vor dem Fall nach oben getrieben, legte sie recht oft innerhalb der Gruppe in einem neuen Leistungsniveau vor. Doch die Angst, die in dieser schnellen Entwicklung leider eine positive Bewertung erhielt, sollte irgendwann nicht mehr der Antrieb, sondern die Bremse ihrer „Kletterkarriere“ werden. Es hieß nicht Kraft oder Beweglichkeit zu trainieren, sondern schlicht die Psyche. Frei nach Alexander Huber: „Die Angst ist ein Berg, den man nicht umgehen kann, sondern einer, den man überwinden muss.“ Im direkten Vergleich ist es wesentlich einfacher Fortschritte in Sachen Kraft und/oder Beweglichkeit zu messen als in Sachen Psyche. Die Einschätzung ist fast völlig subjektiv und oft neigt man sogar dazu, sich schlicht und ergreifend selbst zu verarschen. Ich sagte: „Heute hatte ich fast keine Angst!“, aber ich sage nicht, dass ich heute nur Toprope geklettert bin oder weit unterhalb meiner Leistungsgrenze. Oder man findet auch Ausflüchte und Rechtfertigungen: „Das sollte man gar nicht klettert, das ist WIRKLICH gefährlich!“ Man richtet sich nach der Angst. Sie wird Chef im Ring und das bringt durchaus auch Gefahren mit sich. Wer beispielsweise nicht loslässt, wenn er vom Tritt rutscht, weil er nicht daran glaubt, dass das Seil sein Leben retten wird, geht ein erhöhtes Verletzungsrisiko ein, da er versucht sich noch im Fingerloch oder an der Minileiste mit ganzem Gewicht zu halten. Bei mir führte diese bis dahin blasse Theorie zum Beugesehnenanriss im linken Ringfinger verknüpft mit starken Schmerzen und langer Reha-Phase und kurz darauf zum Beugesehnenanriss im rechten Ringfinger verknüpft mit noch mal starken Schmerzen und langer Reha-Phase. Und zum Dank und Trost bekommt man den ergreifendsten Kommentar überhaupt in dieser Situation zu hören: „Musste einfach mal loslassen!“ Schluck. Grummel, grummel: Ja, hast Recht...“
Mal sehen, ob ihr/mir das gelingt diesen Berg, der in meiner Vorstellung höher misst als jeder 8000er, zu erklimmen.

1 Kommentar:

  1. "Es lohnt sich zu kämpfen bis zum Schluss man muss jedoch auch loslassen können…"
    http://chrisglanzer.blogspot.com/2008/07/loslassen-by-phil-steinhauser.html

    in diesem Sinne O_Chalk

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